Abkürzungen, Akronyme und Kurzwörter
Das 10-bändige „Große Wörterbuch der deutschen Sprache“ aus dem Dudenverlag verzeichnet unter anderem das schöne Wort „Abkürzungsfimmel“ – der Erläuterung nach die „übertriebene Neigung, Abkürzungen zu verwenden“. Für den Journalisten sollte eher das Gegenteil Pflicht sein, also eine übertriebene Neigung, Abkürzungen zu vermeiden. Denn auch wenn es beim Schreiben verführerisch sein mag, ein paar Tastenanschläge einzusparen (es sei denn, man wird nach Zeilen bezahlt), sind mit Abkürzungen wie usw., ggf. oder z. B. gespickte Texte – so gängig diese Kürzel auch sein mögen – dem flüssigen Lesen eher abträglich. Insbesondere gilt das natürlich, wenn der Rezipient rätseln muss, was der Autor gemeint hat – je nach Kontext kann beispielsweise mit a. B. „am Berg“, „auf Befehl“, „auf Bestellung“ oder „außer Betrieb“ gemeint sein.
Dennoch gibt es zweifelsohne viele Abkürzungen und auch Kurzwörter, die unverzichtbar sind oder die Langform sogar schon weitgehend ersetzt haben: So unterscheidet sich das Foto einer Lok semantisch nicht von der Fotografie einer Lokomotive, ist aber entschieden griffiger. Und spätestens bei Akronymen – also Kurzwörtern, die aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildet werden – wie NATO oder Aids wird man wohl kaum ohne Not „North Atlantic Treaty Organization“ oder „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ hinschreiben. Hand aufs Herz: Hätten Sie die Bedeutungen überhaupt so genau gewusst? Und speziell im Bereich der neuen Medien geht ohne Kürzel gar nichts mehr, sei es die CD-ROM, die man in den PC einlegt, oder das im WWW zur Verfügung gestellte PDF.
Speziell bei Akronymen macht oft die Schreibweise Probleme: Warum schreibt man NATO in Großbuchstaben, Aids aber nicht? Die Wahrheit ist: Auch Nato und AIDS sind richtige Schreibweisen, jedoch neigt man umso mehr zur Kleinschreibung im Wortinneren, je stärker man die Abkürzung als Kurzwort auffasst und je stärker das eigentlich Abgekürzte dahinter verblasst. Weil wir bei NATO immerhin noch schwammig ahnen, dass sich dahinter eine längere Bezeichnung verbirgt, neigen wir hier zur Großschreibung. Hingegen hat Aids als prägnantes Wort für die so bezeichnete Krankheit mittlerweile unabhängig von der genauen Bedeutung eine starke Eigenständigkeit erreicht, was sich auch in der Schreibweise niederschlägt. Bei Kurzwörtern wie BAföG, bei denen man lange überlegen muss, welche Buchstaben klein- und welche großgeschrieben werden, ist man dann vielleicht sogar froh, auch einfach Bafög schreiben zu dürfen.
Weitere Grenzfälle sind UNO versus Uno, aber auch PKW versus Pkw beziehungsweise LKW versus Lkw; auch hier neigt man zur Kleinschreibung im Wortinneren, da der Charakter des Kurzwortes („Pe-ka-we“) gegenüber dem Charakter der Abkürzung („Personenkraftwagen“) überwiegt. Dies zeigt sich besonders im Plural, der immer häufiger – und durchaus im Einklang mit den Dudenregeln – mit einem „s“ gebildet wird, obgleich die Langform ebendieses s missen lässt: die Lkws; aber natürlich die Lastkraftwagen und nicht die Lastkraftwagens. Aber auch bei großgeschriebenen Akronymen kommt das Plural-s zum Einsatz, und zwar bitte ohne Apostroph (!): die PCs, die CDs, die CD-ROMs, die DVDs, die MP3s (kurz für: „MP3-Dateien“).
Ein besonderer Fallstrick lauert bei Abkürzungen, die bereits einen Plural bezeichnen, etwa die auf fast jeder Website vorkommenden „allgemeinen Geschäftsbedingungen“, kurz: die AGB – und eben nicht: die AGBs. Ist Ihnen hier noch ein zweiter Fallstrick aufgefallen? Richtig: Die Großbuchstaben des Akronyms geben keineswegs die Schreibweise dessen, wofür es steht, vor. AGB steht also für „allgemeine Geschäftsbedingungen“; die Schreibweise „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ ist schlicht verkehrt. Ebenso steht ÖPNV für „öffentlicher Personennahverkehr“. Umgekehrt bleibt die Groß- oder Kleinschreibung einer Abkürzung auch in Zusammensetzungen mit Bindestrich stets erhalten: km-Pauschale, pH-Wert, US-amerikanisch. Apropos Komposita: Strikt vermeiden sollte man redundante Konstruktionen wie „ISBN-Nummer“ oder „ABM-Maßnahme“ – entweder man nutzt nur die Abkürzung oder man löst sie gleich ganz auf.
Fassen wir noch mal zusammen: Man unterscheidet zwischen Abkürzungen, die ohne Rücksicht darauf, ob sie als Wort ausgesprochen werden können, gebildet werden (z. B., a. a. O., usw.), und Kurzwörtern, die als Wort ausgesprochen werden, etwa Kita für Kindertagesstätte. Ein Spezialfall der Abkürzung ist das Akronym, bei dem jeder Buchstabe für ein Wort steht. Akronyme werden in der Regel großgeschrieben (EDV, ADAC), es sei denn, ihr Charakter als Kurzwort überwiegt, wie bei Aids, Lkw oder Captcha. Was denn, Sie wissen nicht, wofür „Captcha“ steht? Nun, es handelt sich um einen nach dem Mathematiker A. M. Turing benannten EDV-Test, mit dem man Menschen von Computern unterscheiden kann (zum Beispiel indem man den Nutzer von Webformularen eine als Grafik dargestellte Zahlenfolge abschreiben lässt): „completely automated public Turing test to tell computers and humans apart“. Manchmal ist man doch froh, Dinge abkürzen zu können.
In diesem Sinne Ihr
jvh (Julian von Heyl)